Bevor ich Mama geworden bin, war für mich klar: Unser Baby wird im Beistellbett oder Kinderwagen schlafen und sein eigenes Kinderzimmer haben. Gestillt wird 6 Monate und danach gibts Beikost, ist ja klar. Und ja, mir ist bewusst, dass die Nächte direkt nach der Geburt anstrengend sind, doch das pendelt sich ja recht schnell ein und das Baby schläft mehrere Stunden am Stück durch.
Und dann lag ich nach der Geburt im Familienzimmer mit diesem hilflosen Würmchen auf mir. Das Beistellbett stand da, doch ALLES in mir hat sich dagegen gesträubt diesen kleinen Schatz da reinzulegen. Na super, bin ich nur wenige Minuten nach der Geburt zur Helikoptermama mutiert? Doch ich konnte gar nichts dagegen tun, ich habe instinktiv auf die Bedürfniss meines Sohnes reagiert. Ich habe gespürt, dass er sich an bzw. auf mir wohler fühlt und direkt anfängt zu weinen, wenn ich ihn versuche abzulegen. Und so kam es dazu, dass wir das Beistellbett kein einziges mal benutzt haben. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass es in den anderen Punkten auch anders gelaufen ist, als ich das im Vorfeld dachte :)
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass das alles immer easy war. Ich immer jede einzelne Sekunde genossen habe. Manchmal war ich einfach overtouched, hätte meinen Körper gerne für mich gehabt und mir so sehr gewüscht, dass dieses Kind einfach mal schläft. Oh man haben wir Stunden mit Einschlafbegleitung verbracht. Mit einem völlig überreizten Kind, das einfach nicht schlafen konnte. Ich bin schier verzweifelt.
Und in genau diesen Momenten des Zweifelns waren die Stimmen aus dem Außen besonders laut:
Tja und da stand ich dann. Mit diesem kleinen Menschlein, das komplett abhängig von mir war. Und ich fragte mich, ob ich wirklich so viel falsch mache? Ob an der Kritik was dran ist?
Da konnte sich der kleine Zwerg grade so auf seine eigenen Füße stellen und ich sollte ihm Grenzen setzen und Konsequenzen aufzeigen, wenn er sich nicht an die Grenzen hält. Und da hab ich mich gefragt: Was ist überhaupt eine Grenze? Wann und wie setze ich die? Bringe ich meinem Baby bei, dass ich immer "springe" wenn es ruft? Und weil mir bei diesem ganzen Durcheinander ganz schwindlig im Kopf wurde, habe ich angefangen zu recherchieren.
Ich fand Antworten auf meine Fragen in der Bindungs- und Bedürfnisorientierten Erziehung. Habe die Bücher vom artgerecht Projekt, inBindung, Gerald Hüther und diversen anderen Autoren verschlungen und immer mehr Sicherheit bekommen. Mit steigendem Wissen und steigender Sicherheit sind die ungefragten Ratschläge immer mehr von mir abgeprallt. Es war einfach alles logisch für mich. Mein Bauchgefühl war richtig. Gehen wir auf die Bedürfnisse der Babys ein, stärkt das die Bindung, stärkt sie in ihrem Körpergefühl, motiviert sie mit uns zu kommunizieren und lässt sie zu selbstbewussten und unabhängigen kleinen Geschöpfen heranwachsen.
Doch auf die Bedürfnisse meines Kindes einzugehen bedeutet nicht automatisch, dass es keine Grenzen bekommt oder ich ihm jeden Wunsch von den Augen ablese. Kritiker der Bindungs- und Bedürfnisorientierten Erziehung befürchten häufig, dass kleine Tyrannen großgezogen werden, die denken, dass sich die ganze Welt um sie dreht. Doch an dieser Stelle wird der Ansatz oft falsch verstanden, denn Bedürfnisse sind nicht gleich Wünsche - und genau das macht einen großen Unterschied.
Auf die Bedürfnisse meines Babys oder Kleinkindes einzugehen heißt nämlich nicht, dass es alles machen darf, alles entscheiden darf und ich ihm jeden Wunsch von den Augen ablese. Dass es niemals weint oder wütend wird. Dass ich MEINE Bedürfnisse ignoriere, um mein Kind glücklich zu machen. Es geht darum die echten Bedürfnisse meines Kindes zu erkennen - nach Nähe, Liebe, Sicherheit, Orientierung, Autonomie usw. Gleichzeitig sind auch meine Bedürfnisse und die der anderen Familienmitglieder wichtig. Wie immer im Leben geht es um Balance.
Wenn mein Kind weint oder wütend wird, dann bestrafe ich es nicht dafür. Denn Wut ist keine falsche Emotion, die man "austreiben" muss. Sie gehört einfach zum Leben dazu, genau wie Freude oder Frust auch. Und dabei ist mir eines klar geworden:
Mein Kind lernt nicht durch Worte, sondern durch Taten. Ich bin das größte Vorbild für mein Kind, es wird alles nachmachen, was ich ihm vorlebe. Lebe ich ihm vor, dass Mama (oder Papa) sich immer hinten anstellt, wird es genau das lernen und später übernehmen. Andere Menschen gehen vor. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Krank zur Arbeit schleppen, keine Zeit für eine Pause. Wut, Trauer und Frust herunterschlucken, Zähne zusammenbeißen und einfach weiter machen. Doch das ist nicht das was ich meinem Kind beibringen möchte.
Ich wünsche mir, dass mein Sohn empathisch wird, lösungsorientiert denkt und gleichzeitig auch seine eigenen Grenzen kennt. Dass er lernt auf sich zu achten und sich um seine Bedürfnisse kümmert. Also muss ich ihm genau das vorleben. Und das ist wohl die schwerste Aufgabe am Elternsein. Gerade wenn man diese Strategien selbst nicht beherrscht und nicht gelernt hat, die eigenen Bedürfnisse im Blick zu behalten. Es stimmt was man sagt: Kinder sind unsere größten Lehrer. Sie zeigen uns genau, wo wir noch wachsen dürfen. Also du merkst schon, für mich wieder eine logische Sache ;-)
Trotz allem hat mich eine Frage einfach nicht losgelassen: Warum nur stören sich so viele Menschen daran, wenn wir auf die Bedürfnisse unserer Babys eingehen? Wenn wir sie Tragen, bei uns im Bett schlafen lassen, ihre Signale ernst nehmen und mit Liebe überschütten? Warum wird uns immer wieder vermittelt, dass das falsch sei und wir die Kinder verwöhnen würden?
Besonders in Deutschland scheint dieser Gedanke tief verankert zu sein. Wenn wir in anderen Ländern unterwegs sind, erleben wir oft das Gegenteil: Dort ist es selbstverständlich Kinder zu tragen, sie mit Nähe und Liebe zu überschütten und auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Der Umgang mit Kindern ist ganz anders. Lockerer, herzlicher und offener. Aber warum? Ich habe wieder angefangen zu recherchieren. Und ich bin auch auf ein Ergebnis gestoßen. Ein düsteres historisches Ergebnis über das keiner sprechen will. Strukturen, die tief in unserem Denken verankert sind und uns dazu bringen, Kinder früh "funktionieren" zu lassen. Doch dazu ein anderes mal mehr.....
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